ein wunderbar schlichter Bericht...
"Außerdem empfahl er mir eine Dunkelklausur. Darüber war ich sehr glücklich. Zwei Jahre danach (Lopon Sangye Tenzin war mittlerweile gestorben) bat ich Lopon Tenzin Namdak und meine Mutter um Erlaubnis, in eine Dunkelklausur gehen zu dürfen. Beide waren einverstanden, auch wenn meine Mutter sagte, sie mache sich Sorgen, weil es sehr ungewöhnlich sei, dass ein so junger Mensch wie ich schon in eine Klausur gehe.
Einige Klosterbewohner, die vielleicht neidisch auf mich waren, sagten, ich würde wahrscheinlich verrückt werden. Ich ließ mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abbringen und traf alle notwendigen Vorbereitungen.
Ich wollte die Dunkelklausur in Lopon Tenzins Vorratskammer durchführen, der mittlerweile zur Gästetoilette umfunktioniert worden war. Der Raum war sehr klein, nur etwa 2 mal 4 Meter, und wegen der Zementwände war die Luftzirkulation sehr schlecht. Meine Mutter brachte mir dreimal am Tag etwas zu essen, doch sprach ich während der gesamten Klausur kein einziges Mal mit ihr. Der Lopon und meine Mutter fingen im Laufe der Zeit an, sich Sorgen zu machen, weil ich weder mittags, noch abends viel aß. SIe vermuteten, dass die schlechte Luft in dem Raum der Grund dafür sei, und sie überlegten, ob ich die Klausur früher als geplant beenden sollte. Doch ich blieb die vollen 49 Tage in der Klausur. Jeden Tag kam der Lopon, setzte sich vor dem Klausurraum hin und sprach eine halbe Stunde lang mit mir. Es war sehr wichtig für mich, während der gesamten Zeit in der Nähe meines Meisters zu sein. Ich hätte mir all die vielen Einzelheiten, die er mir im Laufe dieser Zeit vermittelte, nicht im voraus merken können.
Da ich jede Woche andere Übungen und Visualisierungen ausführen mußte, erklärte er mir diese jeweils, sobald der Zeitpunkt dafür gekommen war.
Mein Geist war während der Zeiten der Übung sehr leer und frei von Konzepten. Ich stellte fest, dass es besser war, keine Informationen über die Vorgänge in der Außenwelt zu erhalten. Solche Nachrichten wirken störend, da durch sie die ganze übliche Kette von Gedanken entsteht, die den Geist von der Übung ablenken. Ich sollte mich völlig darauf konzentrieren, präsent zu bleiben und Geistesklarheit zu entwickeln.
Meine Dunkelklausur verlief sehr erfolgreich und bewirkte eine starke Veränderung meiner Persönlichkeit. In den ersten Tagen fiel es mir nicht leicht, auf einen so kleinen, dunklen Raum beschränkt zu sein, denn ich war ja noch sehr jung und hatte viel dynamische Energie . Am ersten Tag schlief ich ziemlich viel; doch schon am zweiten Tag kam ich wesentlich besser mit der Situation zurecht, und meine Erfahrung der Übung wurde jeden Tag besser, so dass ich mir immer sicherer wurde, dass ich die Klausur planmäßig zu Ende führen konnte.
Die ganze Klausur war für mich eine großartige Erfahrung, insbesondere das Erleben des Kontaktes zu mir selbst.
Die Isolierung von den üblichen äußeren Stimuli, beispielsweise von der Wahrnehmung von Objekten durch den Sehsinn ermöglichte es mir, völlig in mein Inneres einzutauchen.
Ich hatte vorher Geschichten über die Probleme gehört, die andere vor mir in der Dunkelklausur gehabt hatten. Einige hatten Visionen gesehen, von denen sie steif und fest behaupteten, diese seien real gewesen. Mir war jedoch klar, wie so etwas entsteht. Im Alltagsleben lenken uns die äußeren Erscheinungen von unseren Gedanken ab, wohingegen es in der Dunkelklausur keine derartigen Ablenkungen gibt. Deshalb können die vom eigenen Geist geschaffenen Visionen in dieser Situation wesentlich leichter zu Verstörtheit oder zu einer geistigen Störung führen, und man kann dadurch sogar verrückt werden. DIe Dunkelklausur ist eine sogenannte "sensorische Deprivation". Weil wir in dieser Situation nicht überprüfen können, ob eine äußere Realität existiert, halten wir Gedanken oder Visionen, die in dieser Situation auftauchen, für wahr, und wir bauen sogar ganze Gedankenketten darauf auf. Dadurch kann es passieren, dass wir so vollständig in die von unserem Geist geschaffenen Phantasien eintauchen, dass wir von deren "Realität" völlig überzeugt sind. Nach der ersten Woche veränderte sich mein subjektives Zeitempfinden. Ich verlor jedes Zeitgefühl, was zur Folge hatte, dass sich sieben Tage wie zwei anfühlten. Deshalb schrumpften die letzten sechs Wochen der 49 Tage in meinem subjektiven Empfinden zu zwölf Tagen zusammen. Von der zweiten Woche an hatte ich viele Visionen von Lichtstrahlen, Blitzen und Thigles, Regenbogen und verschiedenen Symbolen. Nach der zweiten Woche tauchten die ersten Formen auf, die an die konkrete Wirklichkeit erinnerten.
Die erste dieser Visionen hatte ich in der zweiten Morgensitzung der zweiten Woche. Während ich mich in einem Zustand der Kontemplation befand, sah ich vor mir im Raum den riesigen körperlosen Kopf von Abo Tashi Tsering. Der Kopf war unglaublich groß. Im ersten Augenblick überfiel mich große Furcht, doch dann fuhr ich mit der Übung fort. Der Kopf blieb länger als eine halbe Stunde vor mir. Die Vision war so klar wie die der normalen alltäglichen äußeren Realität, manchmal sogar noch klarer.
etc...
Die erwähnten Visionen waren nicht die einzigen, die ich hatte, aber die bemerkenswertesten. Kurz vor Ende meiner Klausur erlangte ich ein solche Maß an geistiger Klarheit, dass ich das Gefühl hatte, sehen zu können, was außerhalb des Klausurraums vor sich ging. Einmal "sah" ich auf diese Weise, dass meine Mutter mir Essen brachte. Ich "sah" jeden einzelnen Schritt, den sie auf das Haus zuging, in dem ich mich befand, bis sie schließlich die Tür erreichte und klopfte, um mir ihre Ankunft anzukündigen. Im gleichen Augenblick hörte ich ein Klopfen an der Tür, durch das meine "wirkliche" Mutter mir ankündigte, dass sie mit dem Essen gekommen war. Die Bewegungen meiner realen Mutter waren also synchron verlaufen.
Keine dieser Visionen war von akustischen Eindrücken begleitet, und ich bin auch nicht auf en Gedanken gekommen, mit einer von ihnen sprechen zu wollen. Erst nach dem Ende der Klausur kam mir der Gedanke, dass es vielleicht gut gewesen wäre, mit den Gestalten zu sprechen.
Die ganze Klausur war für mich eine intensive Reinigungserfahrung, und ich habe darin große Klarheit entwickelt. Nach der Klausur hatte ich einen Traum, der für den Lopon ein Zeichen dafür war, dass ich eine Reinigung durchgemacht hatte: Ich träumte, ich hätte mit einem Messer eine Vene in meinem linnken Knöchel aufgeschnitten, und außer Blut wären auch Insekten aus der Schnittwunde ausgetreten. Nach meiner Klausur wurde ich so ruhig und sstill, dass meine Mutter einmal sagte, sie wünsche sich, dass meine Schwestern auch einmal eine Dunkelklausur machten."
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Doch gibt es gemäß der Dzogchen-Sicht zwei Möglichkeiten, Wissen zu erlangen: durch Logik und durch Erfahrung. Nach den DzogchenLehren ist der beste Weg, zu einem Verständnis von Leere zu gelangen, nicht der über das Denken, weil ein auf diese Weise erlangtes Verständnis niemals über die konzeptuelle Ebene hinausgelangen kann. Der Verstand kann zwar die logische Konzepte der Leere verstehen, doch entzieht sich die Wahrheit der Leere allen Gedanken und Konzepten; sie geht einfach über den
VerständnisHorizont!!! :D des Intellekts hinaus.
Leere kann man letztlich nicht durch logische Schlußfolgerungen verstehen, weil der Intellekt nur das Konzept oder die Bedeutungverallgemeinerung der Leere versteht und die Leere selbst nicht direkt wahrzunehmen vermag.
Doch wer versteht dann die Leere? Es gibt das Selbstbegreifen der Leere durch die Leere selbst, durch den Klarheitsaspekt der Leere, welcher das Begreifen durch direkte Wahrnehmung ermöglicht. Das Begreifen ist nicht von der Leere getrennt. Leere begreift sich selbst und beleuchtet sich selbst, so wie es im Bild der Butterlampe zum Ausdruck kommt. Darin liegt die Untrennbarkeit von Leere und Klarheit. Selbstbegreifen ist Selbstklarheit oder Selbstgewahrsein."
aus
Der direkte Weg zur Erleuchtung
Dzogchen-Meditation nach den Bön-Lehren Tibets
Tenzin Wangyal RInpoche
O.W.Barth